Itchy Feet

Verborgene Stämme Äthiopiens, Teil II

Mit ungebrochener Faszination und noch mehr Staunen über die Polaritäten des Landes setze ich meine Reise durch Äthiopien fort. Nachdem der erste Blogpost veröffentlicht wurde kann ich jetzt meine gesamte Aufmerksamkeit Neuem widmen, den Besuch bei weiterern Stämmen, jenen der Karo und Hamer. Das folgende Bild zeigt die Fahrtroute der ersten beiden Wochen in Äthiopien, welche in etwa 2200 km betrug.

Früh am Morgen ging es los und wir fuhren wieder mal über staubaufwirbelnde Schotter und Sandpisten bis wir eines der ersten Karo Dörfer erreichten. Der Karo Stamm benutzt Lehm und lokal verfügbare Pflanzenpigmente um fantastische Muster auf den Gesichtern, Brüsten, Armen und Beinen des anderen zu zeichnen. Karo-Männer, wie auch die benachbarten Stämmen, sind hingegen berühmt für ihre einzigartige Frisuren. Der Besuch dieser Dörfer ist bei mir immer eine emotionale Achterbahnfahrt, geprägt von vielen Fragezeichen, höchstwahrscheinlich Missverständnissen und einer großen Kluft zwischen Faszination, Aufregung und Enttäuschung.

Die Karo sind unbestreitbar und von Natur aus Künstler. Sie sind unter anderem für ihre faszinierenden und aufwendige Körper- wie Gesichtsbemalung bekannt. Sie schmücken ihre Körper mit lokal gefundener weißer Kreide, gelbem Mineralstein, Eisenerz und Holzkohle. Dies ist ein aufwendiger Prozess welcher von einfachen und feinen Punkten bis zu groben, aber bemerkenswerten Linien reichen, jene wiederum werden mit Handflächen oder Fingern gezeichnet. Dabei sind Tiermotive, wie das gefleckte Gefieder des Perlhuhns, nur eines der markanten Körperbmotive. Sowohl Männer als auch Frauen verwenden diesen symbolisch und ornamentalen Ausdruck, um sich dem anderen Geschlecht attraktiver zu präsentieren. Diese Bemalungen findne natürlich auch bei besonderen Anlässen Verwendung.

Aber auch die Fahrt zwischen den Dörfern war meist aufregend und voller Überraschungen, neugierige Gesichter tauchten wie aus dem Nichts auf und so stoppten wir viele Male um Kontakt aufzunehmen. Die kleinen mitgebrachten Geschenke halfen sehr dabei die Scheue zwischen Neugierde und Vorsicht zu überwinden.

Die Karo, oder Kara, sind eine neolithische  Ethnie in Äthiopien, die für ihre Körperbemalung berühmt ist. Sie sind auch einer der kleinsten Stämme in der Region mit einer geschätzten Bevölkerung zwischen 1.000 und 3.000. Sie sind eng mit dem Kwegu-Stamm verwandt und leben entlang der Ostufer des Omo-Flusses im Süden Äthiopiens.

Schönheit ist ein wichtiger Aspekt der kulturellen Tradition der Karo und für die Frauen ist es buchstäblich tief in ihrem Körper verwurzelt. Frauen verursachen sich selbst Schnittwunden an Brust, Bauch oder Rücken um komplizierte Narbenmuster zu erzeugen. Auch das geschieht aus Schönheitsgründen, da eine Frau mit solchen Narben auf ihrem Oberkörper als reif und attraktiv gilt. Die Narben werden mit einem Messer oder Rasiermesser geschnitten und Asche wird eingerieben um damit einen permanenten Rand zu erzeugen.

Normalerweise tragen Karo-Frauen nur einen Lendenschurz aus Fell und legen bunte Perlen um den Hals und färben ihre Haare mit Ocker, gemischt mit tierischem Fett. Folgendes Foto zeigt sehr anschaulich die Bemalung eines der beliebtesten Tiermotive, dass gefleckte Gefieder des Perlhuhns.

Solche einzigartigen Orte zu besuchen ist einfach überwältigen wie faszinierend zugleich aber auch, durch Überraschungen und zu bewältigende Herausforderungen, ermüdend. Immer wieder kam es zu Missverständnissen, Bedrängnissen wie Spannungen in Bezug auf den Handel welchen ich für die Fotografien einzufädeln versuchte.

Nach dem Besuch einiger Stämme fuhren wir oft nur wenige Kilometer und schliefen dann einfach neben oder im Auto. Unterkünfte gab es so oder so nicht und gemeinsam mit dem Fahrer spannten ich eine einfache Plane vom Autodach zum staubigen Boden, wobei nur die Insekten eine Plage darstellten. Am nächsten Morgen, nachdem wir von Kindern aus dem Tiefschlaf geweckt worden waren, fuhren wir weiter um ein Hamer-Dorf zu besuchen. Der Hamer Stamm (auch Hammer oder Hamar genannt) ist eine der größten Gruppen bzw. Stämme im Omo Tal. Der Hamer kultiviert Hirse, Gemüse, Tabak, Baumwolle und züchtet Rinder wie Ziegen. Sie sind bekannt für die schöne Keramik welche sie aufwendig produzieren sowie für ihr außergewöhnliches Haarstyling.

Das untere Omo-Tal im Süden Äthiopiens beheimatet über ein Dutzend verschiedene Stämme welche dort seit Jahrhunderten leben. Zu den schätzungsweise 200 000 indigenen Menschen die das Gebiet bewohnen gehören die Karo, deren Stamm etwa 1000 bis 2000 Einwohner hat und die Ufer des Omo Flusses besiedelten. Die karo zählen somit zu dem wohl kleinsten ethnischen Stämme in Äthiopien, wahrscheinlich auf dem ganzen Kontinent.

Heirat: Die Hamar-Banna-Männer heiraten erst ab Mitte dreißig,  Mädchen dagegen schon mit ungefähr 17. Die Eltern der Söhne haben die Kontrolle einschließlich der Erlaubnis der Männer zu heiraten. Hamar-Banna-Männer können so viele Frauen wie sie möchten heiraten solange die Frauen aus demselben Stamm stammen und der Mann muss auch in der Lage sein das ,Brautgut‘, das aus Rindern, Ziegen und anderen Gütern wie Gewehren bestehen kann, an die Familie der Frau zu zahlen. Dabei kann er auch Hilfe von seinen nahen Verwandten bekommen um für seine Braut zu bezahlen. Ein ,Braidwealth‘ ist wie ein Bankkredit, kann aber in der Regel zu Lebzeiten des Mannes nicht zurückgezahlt werden weil es eine so große Summe ist, etwa 30 Ziegen und 20 Stück Vieh.

Diese Frau wird bald heiraten aber vorher bleibt sie für einige Wochen alleine in dieser Hütte und wird von Verwandten der Familie mit Essen versorgt bzw. gemästet. Täglich schmiert sie ihren Körper mit tierischem Fett und Pflanzenfarbstoff ein um ihre Haut noch weicher und schöner für ihren zukünftigen Ehemann zu machen.

Es waren (wie immer) die Begegnungen mit den Kindern welche mich alle Anstrengungen und Herausforderungen dieser Reise vergessen ließen. Wie überall auf der Welt waren sie auch in Äthiopien unvoreingenommen, natürlich und spielerischer Natur und ich bin sehr dankbar für die vielen berührenden wie bewegenden Augenblicke und Momente mit ihnen.

Rückkehr nach Arbaminch über Konso. Ich hoffe die Eindrücke können euch einen kleinen Einblick in die große Vielfalt der verschiedenen ethnischen Gruppen von Äthiopien bieten und heute reise ich weiter nach Norden, nach Arbaminch (ca. 270km). Unterwegs besuchte ich ein Konso Dorfeine Weltkulturerbestätte. Die traditionellen Konso-Dörfer, die stets auf den Hügelkuppen als Schutz vor den Flachlandstämmen errichtet wurden, sind von hohen Steinmauern umgeben und umfassen separate Anlagen mit terrassierten Außenfeldern. Die architektonischen Aspekte sind einzigartig und weitgehend unveränderten.

Nach einem weiteren erlebnissreichen Tag fuhr ich nach Dorze. Der Stamm der Dorze ist für seine textilen Webereien und den bienenstockförmigen Hütten bekannt. Nachmittags ging es dann weiter zum Ufer des Langano-Sees, einem Süßwassersee, der bei Einheimischen und Touristen wegen seiner Tiervielfalt beliebt ist.

Aber zuvor durfte ich das falsche Bananenbrot probieren! Ensete (oder falsche Banane)  ist eine in Afrika wie Asien beheimatete Pflanze, die oft als die falsche Banane bezeichnet wird weil sie, nicht überraschend, eine Ähnlichkeit mit der Bananenpflanze aufweist. Es wird im weniger trockenen Hochland der südwestlichen Region von Äthiopien angebaut und stellt für die Dorfbewohner ein Grundnahrungsmittel dar.

Rückkehr nach Addis Abeba – Den heutigen morgen habe ich mich am See entspannt bevor ich nach Addis Abeba (ca. 210 km) zur äthiopischen Heiligabend-Feier zurückgefahren bin. Anders als in anderen christlichen Ländern beginnt das Weihnachtsfest („Genna“ oder „Lidet“) in Äthiopien erst am 7 Januar. Das Datum begründet sich daher, da sich die äthiopisch-orthodoxen Christen nicht am gregorianischen sondern am julianischen Kalender orientieren. Am Abend strömen dann die gläubigen Orthodoxen ganz in weiß gekleidet in die zahlreichen Kirchen und wegen des großen Andrangs werden Predigt und Lobgesänge meist per Lautsprecher nach draußen übertragen.

Anbei noch einige Länderinformationen: Äthiopien, das Horn von Afrika liegt nördlich des Äquators im Nordosten Afrikas. Lange als Abessinien bekannt, steht es zwischen den Kulturen des Mittelmeeres und den Stammesvölkern Afrikas und rühmt sich der Ursprünge der Menschheit. Äthiopien ist sowohl in der Größe als auch in der Bevölkerung eines der größten Länder Afrikas. Mit einer Fläche von 1.235.000 Quadratkilometern ist es etwa doppelt so groß wie Kenia oder Frankreich. Die Bevölkerung ist ungefähr 82 Millionen – mit der dichtesten Bevölkerung im fruchtbaren zentralen Hochland. Ein großer Teil von Äthiopien ist immer noch wenig beinfluss und fördert Geistesfreiheit. Äthiopien war in der Lage, seinen scharfen, unabhängigen Charakter zu bewahren und nicht von den Wegen der Kolonisten (zu stark) beeinträchtigt zu werden. Es ist diese Einzigartigkeit, die Äthiopien so anziehend macht. Seine Leute haben eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit und zeigen echten Stolz auf ihre Kultur und Zivilisation, was sich in ihren vielen bunten Feierlichkeiten zeigt. Fast 90 % aller Äthiopier betreiben Landwirtschaft und Viehzucht und leben auf dem Land. Die peripheren Bewohner von Äthiopien führen eine nomadische und pastorale Lebensweise, während das zentrale Hochland Bauerngemeinden unterstützt. Die christlichen Hochlandvölker sind seit über 16 Jahrhunderten einem biblischen, moralischen und bürgerlichen Verhaltenskodex gefolgt. Äthiopiens ländliche Kultur und Traditionen sowie die Vielfalt dieses abgelegenen Landes mit seinen unglaublichen Menschen zu erleben, ist ein unvergessliches Abenteuer.

Annmerkung: Wenn Sie nach Äthiopien reisen um einige der ethnischen Gruppen zu besuchen und Fotos zu machen, denken Sie daran, dass Sie für die aufgenommenen Bilder bezahlen müssen. Vielleicht gelingt es dir (wie mir) für Bilder Lebensmittel zu tauschen. Es klappt nicht überall, ist aber ein weitaus besseres Gefühl als dafür mit Bargeld zu bezahlen. Geschenke für die Kinder zu bringen ist natürlich sehr verlockend und so brachte ich 50 kleine Behälter mit Seifenblasen und viele Buntstifte mit. Ich möchtte aber darauf hinweisen, dass die Buntstifte an vielen Stellen ein großes Fragezeichen hervorriefen, da viele der Kinder noch nie Papier gesehen haben!

Roland Hummer, Äthiopien Januar 2018

 

 

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