Suriname’s grünes Gold

Das grünste Land der Erde.

Auf dem Weg zum Flughafen prasselten die Gedanken wie Regentropfen auf die Scheibe — wild durcheinander und doch mit einer gewissen Ordnung. Die Vorfreude auf das Kommende mischte sich mit einem leisen Bedauern über das Zurückgelassene. Ich befand mich im Moment, in einer Zwischenwelt — nicht mehr ganz hier, noch nicht ganz dort.

Die zehn Stunden im Zug nach Amsterdams Flughafen gaben mir ausreichend Zeit, mich gedanklich treiben zu lassen und über mein Leben nachzusinnen. Und ja, ich liebte diese Entkoppelung des Alltags, und obwohl ich schon damals kaum Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten hatte, wollte ich dennoch reduzieren. Vielleicht ging es nur mir so, aber ich hatte stets das Gefühl, dass der Alltag meine Zeit enorm beanspruchte.

Besonders spürte ich dies bei den mühevollen und zeitraubenden Fragmenten des bürokratischen Alltags, die wie ein nie endendes Netz aus Vorschriften und Aufgaben über mir gespannt waren. Da war die ständige Aktualisierung von Passwörtern, die „aus Sicherheitsgründen“ alle paar Monate geändert werden mussten. Dann kamen die Online-Formulare, die sich nie auf Anhieb öffnen ließen, weil wieder irgendein Cookie-Banner akzeptiert werden musste oder eine Zwei-Faktor-Authentifizierung fehlschlug.

Jede noch so kleine Aufgabe — ob es das Beantragen eines Visums, das Einreichen einer Steuererklärung oder das Überprüfen von Rechnungen war — war gespickt mit Hindernissen. Oft verbrachte ich Stunden damit, Dokumente zu scannen, PDFs in das richtige Format zu konvertieren oder nachzuforschen, welche Richtlinien sich seit dem letzten Mal geändert hatten. Selbst Reisen, die eigentlich der Freiheit dienen sollten, begannen mit einer bürokratischen Hürde: Reiseversicherungen abschließen, Impfnachweise hochladen, digitale Einreiseformulare ausfüllen.

Das Schlimmste daran war, dass all diese Tätigkeiten oft an Technologien gebunden waren, die uns angeblich das Leben erleichtern sollten. Doch in Wahrheit waren wir Sklaven dieser Technologien geworden. Unser Alltag wurde dominiert von automatisierten Systemen, die unsere Daten sammelten, von Apps, die uns an Fristen erinnerten, und von Websites, die uns in einer endlosen Spirale von Klicks und Bestätigungen gefangen hielten. Es fühlte sich an, als arbeitete ich nicht für mein Leben, sondern für die Maschinen und Vorschriften, die dieses Leben kontrollierten.

Tagträumen.

Suriname / Dezember 2024 — Mein Kopf lehnte gegen das kühle Fenster des Zuges. Ich war aufgeregt, und in meinem Kopf schwirrten tausend Gedanken, begleitet von ebenso vielen möglichen Gefahren meiner bevorstehenden Reise nach Suriname. Schon der Name dieses Landes löste eine Kaskade von Fragezeichen in mir aus. Während Millionen von Gehirnzellen fieberhaft versuchten, vor Jahrzehnten gespeicherte Informationen abzurufen, beruhigten mich die gleichmäßigen Schaukelbewegungen des Zuges. Doch eines stand fest: Suriname rief nach Abenteuer.

Die Reise — das Tagträumen über die bevorstehenden Abenteuer und die Hoffnung auf Begegnungen mit den faszinierenden Tieren des Dschungels — empfand ich als essenziellen Teil meiner Vorfreude. Vor meinem inneren Auge sah ich die grünen, endlos scheinenden Baumkronen, die den dichten Dschungel Surinames bedeckten, der über 93 % des Landes einnahm. Dieser Dschungel war einer der unberührtesten Regenwälder der Welt und beheimatete eine beeindruckende Vielfalt an Leben: farbenprächtige Aras, geschmeidige Jaguare, zierliche Pfeilgiftfrösche und schillernde Insektenarten, die es sonst nirgends gab. Gleichzeitig spürte ich das Gewicht der potenziellen Gefahren: Schwärme blutsaugender Moskitos, lautlos lauernde Anakondas und verborgene Giftschlangen, die mit ihrem perfekt getarnten Schuppenkleid zu den Meistern der Tarnung gehörten. Die Idee, diesen wilden, unerforschten Flussläufen und schmalen Pfaden zu folgen, ließ meine Gedanken rasen. Ich war Steuermann und Passagier zugleich in meinem Kopf, wo sich alles um die Begegnung mit dem Unerwarteten drehte.

Die Vorbereitung für die Expedition — Da ich die Gefahren und Risiken dieser Kajak-Expedition nur schwer einschätzen konnte, konzentrierte ich mich lieber auf meine Ausrüstung, die sich wie die eines Naturforschers des 21. Jahrhunderts las: eine Drohne, zwei wasserdichte Action-Kameras und eine Vollformatkamera mit drei Objektiven, bereit, die Flora und Fauna in atemberaubender Schärfe einzufangen. Dazu kamen Stirnlampen, ein schweres Stativ und ein Diffusor, um in den dunklen Nächten die geheimnisvolle Welt der Amphibien zu beleuchten. Spezielle Akkus, Mikrofone und Batterien füllten einen beträchtlichen Teil meines Gepäcks, denn ich wusste, dass die Flüsse und Dschungelpfade von Suriname keine Steckdosen für moderne Abenteurer bereithielten.

Meine Kleidung beschränkte sich auf das Wesentliche: zwei kurze Hosen, zwei langärmelige Hemden zum Schutz vor Insekten und eine robuste Outdoorhose. Ein minimalistischer Ansatz, der Raum für den Rest der Ausrüstung ließ: Hängematte, Wasserfilter, wasserdichte Behälter, Angel, Magnesiumstifte zum Feuermachen und eine Machete.

Der Reiz des Unbekannten.

Suriname, dieses kleine Land an der Nordostküste Südamerikas, verbarg eine faszinierende Geschichte. Es war einst eine niederländische Kolonie, geprägt von Zuckerrohrplantagen und Sklavenhandel, und beherbergte heute eine der vielfältigsten Bevölkerungen der Welt. Doch für mich lag der wahre Reiz in den mythischen Erzählungen, die den Regenwald umhüllten. Die Maroons, Nachfahren entflohener afrikanischer Sklaven, lebten dort in Harmonie mit der Natur, und es hieß, sie kannten Pfade, die in keinem modernen Atlas verzeichnet waren. Ebenso faszinierend waren die Geschichten der indigenen Völker, die von Geistern und Legenden des Dschungels erzählten — wie dem „Asema“, einer Art vampirischem Geist, der Reisende verfolgte, die den Respekt vor der Natur vergaßen.

Die gleichmäßigen Schaukelbewegungen des Zuges ließen mich von der bevorstehenden Kajakfahrt auf den mächtigen Flüssen träumen. Dieses Land war eine Welt voller Kontraste — von stillen, nebligen Regenwäldern bis zu wilden, tosenden Flussabfahrten. Es rief mich, und ich konnte es kaum erwarten, einzutauchen.

 Im goldenen Schein einer Lampe, die einst einen Seefahrer begleitet haben mochte, blätterte ich durch alte Atlanten und Bücher, deren Seiten noch den Duft vergangener Abenteuer trugen. Meine Gedanken schweiften in die dichten, kaum kartierten Regenwälder von Suriname, ein Land voller Geheimnisse und Geschichten, die darauf warteten, entdeckt zu werden. Suriname — ein Mosaik aus Kulturen und Traditionen, geformt durch die Jahrhunderte von Kolonialmächten, indigener Weisheit und afrikanischer Widerstandskraft. Die Straßen von Paramaribo, mit ihren hölzernen Kolonialhäusern und lebhaften Märkten, erzählten von einem kulturellen Reichtum, der ebenso faszinierend war wie die wilde Natur des Landes.

Doch es war der Dschungel, der mich nicht losließ. Dort, wo die Luft schwer von Feuchtigkeit war und die Rufe der Tiere den Reisenden zugleich warnten und lockten, fühlte man sich wie ein Entdecker einer längst vergangenen Zeit. In den Tiefen des Regenwaldes rauschten Flüsse, die wie Lebensadern das Land durchzogen, während über ihren Ufern Pflanzen und Tiere gediehen, die noch immer Rätsel für die Wissenschaft bereithielten.

Jeder neue Fund, jede Legende, die von den Einheimischen erzählt wurde, weckte in mir eine Sehnsucht — eine unbändige Neugier, die mich antrieb. Wie ein Forscher, der von einer unsichtbaren Kraft geleitet wurde, tauchte ich tiefer ein, sei es in den Geschichten der Marrons, den Nachfahren entflohener Sklaven, oder in der Geografie des Landes, die sich wie ein Puzzle aus geheimnisvollen Landschaften zusammensetzte. Es war diese Mischung aus Wissen und Staunen, aus Respekt und Abenteuerlust, die mich vorantrieb. Suriname wurde nicht nur ein Ort auf der Karte, sondern eine Reise zu den Wurzeln dessen, was es bedeutete, zu entdecken und zu lernen.

Paramaribo.

Am Ufer des mächtigen Suriname-Flusses, wo die Luft schwer vom Duft der Mahagonibäume war, erhob sich das ehrwürdige Fort Zeelandia wie ein stiller Zeuge vergangener Jahrhunderte. Hier, inmitten der Wildnis, nahm die Geschichte von Paramaribo ihren Lauf. Einst war es eine kleine Handelskolonie, die von Abenteurern und Händlern errichtet wurde, doch im Laufe der Zeit entwickelte sich dieser Ort zu einer pulsierenden Hauptstadt mit fast 290.000 Bewohnern.

Paramaribo, seit 2002 UNESCO-Weltkulturerbe, spiegelte in seiner Architektur den Einfluss der Kolonialzeit wider. Die hölzernen Kolonialhäuser, viele davon mit kunstvollen Verzierungen und tiefen Veranden, erzählten von einer Zeit, als das niederländische Handelsimperium hier florierte. Die Basilica Minor, eine der größten Holzkirchen der Welt, und die beeindruckende Synagoge Neve Shalom waren Symbole der religiösen und kulturellen Vielfalt dieser Stadt. Suriname — das kleinste unabhängige Land Südamerikas und zugleich eines der grünsten der Welt. Mit 93 Prozent seiner Fläche, die vom dichten Regenwald bedeckt war, galt es als lebendiges Zeugnis der ursprünglichen Kraft der Natur. Kein anderes Land dieser Erde schien so eng mit seinem Wald verwoben zu sein. Hier verschmolzen Kulturen wie an kaum einem anderen Ort: Menschen indonesischer, indischer, chinesischer, indigener, afrikanischer und europäischer Herkunft lebten Seite an Seite. Ihre Geschichten, Traditionen und Lebensweisen fügten sich zu einem farbenfrohen Mosaik zusammen, das die Seele dieses Landes ausmachte.

Es war Anfang Dezember, und nach einem neunstündigen Flug von Amsterdam landete ich endlich in Paramaribo. Die warme, tropische Luft schlug mir entgegen — schwüle 30 Grad! Ein Fahrer wartete bereits und brachte mich zum Sutopia Hotel, das zum Tour-Anbieter Unlock Nature gehörte. Dick Lock, der Gründer von Unlock Nature, hatte unzählige Organisationen ins Leben gerufen. Sein Wirken verkörperte seine tief verwurzelte Leidenschaft für die Natur und den Schutz der Biodiversität Surinames.

Ein Hauch Abenteuer.

Brownsberg — Es war 06:30 Uhr und noch stockfinster, als mein Guide Matthew vor dem Sutopia Hotel vorfuhr. Der Materialcheck war längst erledigt: Stirnlampen, Macheten, Hängematten und Proviant – alles war sicher verstaut. Natürlich durfte auch mein komplettes Arsenal an Kameraausrüstung nicht fehlen. Mit jedem Kilometer, den wir die funkelnden Lichter der Stadt hinter uns ließen, spürten wir die wachsende Spannung. Die Unberechenbarkeit dieser Reise ergriff uns, während die Scheinwerfer des Jeeps die Dunkelheit durchdrangen wie ein Laserschwert, das sich seinen Weg ins Unbekannte bahnte.

Unser Ziel war Brownsberg im Brokopondo-Distrikt, ein altes Bauxit-Plateau auf 515 Metern Höhe. Dort oben, auf dem abgeflachten Gipfel, lag ein Stück Land mit ein paar heruntergekommenen Hütten, die sich längst dem Zahn der Zeit ergeben hatten. Doch im Vergleich zu den illegalen Gold- und Holzfällercamps, die tief im Dschungel von chinesischen Einwanderern und Einheimischen gleichermaßen betrieben wurden, wirkten diese verfallenen Hütten wie ein Zufluchtsort. Wir hatten uns bewusst für diese wilde Gegend entschieden. Brownsberg war ein Labyrinth aus verwinkelten, scheinbar endlosen Dschungelpfaden, die zu verborgenen Wasserfällen führten. Für mich als Fotograf war dieser Ort mehr als vielversprechend. Die Reise nach Suriname hatte ich mit der Hoffnung angetreten, wilde Tiere vor die Linse zu bekommen – und Brownsberg schien dafür das perfekte Terrain zu sein.

Schon der Weg dorthin verlangte uns alles ab. Der Pfad, steil, schlammig und von tiefen Furchen durchzogen, war nur mit einem extrem leistungsfähigen Offroad-Fahrzeug passierbar. Doch selbst unser Jeep kam an seine Grenzen. Mehrmals steckten wir im zähen Schlamm fest, der sich wie eine hungrige Bestie an die Reifen klammerte. Jedes Mal mussten wir die Seilwinde auspacken, uns mit Muskelkraft aus der klebrigen Falle ziehen, während der Schlamm spritzte und das Adrenalin uns wach hielt.

Hier draußen gab es keinen Platz für Bequemlichkeit – genau das machte den Reiz aus. Jeder Meter, den wir zurücklegten, jedes Hindernis, das wir überwanden, fühlte sich an wie ein kleiner Sieg. Der Dschungel lag vor uns wie ein ungeschriebenes Kapitel, bereit, seine Geheimnisse mit uns zu teilen. Und wir waren bereit, sie zu entdecken.

Ein gefährliches Versteck.

Die alten, verfallenen Hütten auf dem Brownsberg nutzten wir als Materialdepot. Doch ihre scheinbare Ruhe trog, denn sie waren längst nicht mehr nur von der Zeit gezeichnet, sondern auch von neuen Bewohnern erobert: allerlei Ungeziefer, Spinnen und – wie wir schon bald feststellen mussten – Giftschlangen.

Bereits am ersten Abend, als wir unsere Stirnlampen einschalteten, spürte ich, wie die feuchte Luft um uns plötzlich schwerer wurde. Kaum zwei Meter von der aufgebrochenen Tür entfernt blitzte etwas im Licht auf. Dort, eingerollt und mit einer unheimlichen Eleganz regungslos verharrend, lag sie: eine Lanzenotter.

Die Lanzenotter gehörte zur Unterfamilie der Grubenottern und zählte zu den gefährlichsten Schlangen des Regenwaldes. Mit einer Tarnung aus braunen und olivgrünen Schuppen war sie nahezu unsichtbar und perfekt an ihre Umgebung angepasst. Doch hinter dieser trügerischen Schönheit verbarg sich eine tödliche Gefahr. Ihr Gift – eine der komplexesten natürlichen Toxinkompositionen – war nicht nur extrem wirksam, sondern wurde bei einem Biss in beachtlichen Mengen injiziert. Schon ein einziger Fehler konnte fatale Folgen haben.

Diese Begegnung blieb nicht die einzige. Immer wieder tauchten die Schlangen in den Schatten der Hütten oder entlang der schmalen Pfade auf. Ihr lauernder Blick und die absolute Stille, die sie umgab, ließen die Welt in diesen Momenten stillzustehen scheinen. Das Wissen, dass sie blitzschnell zustoßen konnten und ihre Bisse verheerend waren, verlieh jeder Begegnung eine dramatische Intensität.

Wir bewegten uns fortan mit äußerster Vorsicht, denn der Dschungel hatte uns eine klare Lektion erteilt: Hier draußen gehörten wir nicht zu den Herrschern, sondern zu den Gästen – und das nur auf Zeit. Die Hütten wurden zum Symbol für diese Realität, ein gefährliches Versteck, das Abenteuer und Risiko in gleichem Maß versprach.

Doch nicht nur die Schlangen machten diese Gegend zu einem gefährlichen Ort. Brownsberg, einst ein Schutzgebiet mit beeindruckender Artenvielfalt, war heute auch ein Schauplatz einer anderen, menschengemachten Bedrohung: dem illegalen Goldabbau.

Der Lockruf des Goldes.

In den umliegenden Wäldern versteckten sich provisorische Camps, in denen Männer – oft unter lebensgefährlichen Bedingungen – mit Quecksilber Gold aus dem Boden wuschen. Der illegale Goldabbau war in Suriname eine wachsende Krise. Schätzungen zufolge arbeiteten Tausende von Minenarbeitern in kleinen, unregulierten Betrieben, die oft von internationalen Akteuren finanziert wurden. Diese Praktiken hatten verheerende Folgen für die Umwelt: Quecksilber, das zur Trennung von Gold verwendet wurde, verschmutzte Flüsse und Böden, während riesige Flächen Regenwald für immer zerstört wurden. Die Giftstoffe gelangten in die Nahrungskette und bedrohten sowohl die Tierwelt als auch indigene Gemeinschaften, die auf die natürlichen Ressourcen angewiesen waren.

Nächtliche Expedition – Der Ruf des Dschungels.

Der Gaskocher summte leise, während unser Eintopf brodelte und den schweren Duft von Gewürzen in die feuchte Nachtluft trieb. Wir saßen im flackernden Schein unserer Stirnlampen und schaufelten das einfache Mahl in uns hinein – doch der Hunger, der in uns loderte, war mit Essen nicht zu stillen. Es war ein anderer Hunger, einer nach Entdeckungen, nach dem Unbekannten, das in der Dunkelheit des Dschungels auf uns wartete.

Kaum hatten wir die letzten Bissen verschlungen, packten wir unsere Kameras in wasserdichte Rucksäcke, sorgfältig geschützt vor den Unwägbarkeiten des Urwalds. Das Flackern der Flamme erlosch, und in der entstehenden Stille hörte man das Summen der Insekten und das entfernte Rufen einer Eule – ein Vorbote der Geheimnisse, die uns erwarteten. Wir zogen uns die Gummistiefel über, die bis zu den Knien reichten, griffen nach den Macheten, die in dieser Wildnis nicht nur Werkzeug, sondern auch Schutz bedeuteten, und machten uns auf den Weg. Der Dschungel verschluckte uns sofort, die Nacht schien undurchdringlich – ein schwarzes Meer, das nur vom Licht unserer Stirnlampen in winzigen Inseln erhellt wurde.

Jeder Schritt fühlte sich wie ein Vorstoß in eine andere Welt an. Der Boden war weich und von den jüngsten Regenfällen durchtränkt, während über uns die dichten Blätterdächer das Mondlicht verschlangen. Die Luft war schwer, erfüllt vom Duft nach Erde, Leben und einem Hauch von Gefahr. Das Knacken eines Zweigs ließ uns innehalten. War es nur ein Tier, das unserer Anwesenheit auswich, oder etwas, das uns beobachtete? Wir lauschten, die Hände fest um die Griffe der Macheten geschlossen, die Sinne geschärft. Dann setzten wir unseren Weg fort, getrieben von der Faszination für das, was sich vor uns verbergen mochte. Der nächtliche Dschungel war lebendig, und jede Bewegung, jedes Geräusch erzählte Geschichten, die nur darauf warteten, von uns entdeckt zu werden. Die Dunkelheit war unser Begleiter, die Stille unsere Herausforderung – und der Ruf des Dschungels unser Antrieb.

Die Jagd nach der Emerald Tree Boa.

Der zweite Tag begann, wie er enden sollte: mit Abenteuerlust und einem Hauch von Dramatik. Der Morgen dämmerte schwül und schwer, der Dschungel war eine brodelnde Kulisse aus lautem Vogelgezwitscher, zirpenden Insekten und dem fernen Murmeln von Wasser. Wir machten uns auf, die Augen weit offen, jede Bewegung im dichten Blattwerk absuchend. Die Wildnis zeigte sich launisch, mal verspielt in Form neugieriger Affen, mal trügerisch, wenn plötzlich das Knacken eines Astes unsere Nerven zum Reißen brachte.

Bis zum Mittag hatten wir uns unseren Weg zu einem der vielen Wasserfälle gebahnt. Die Luft war dick wie Sirup, und meine Kleidung klebte mir wie eine zweite Haut an den Leib. Der Gedanke an die kühlen Wassermassen war eine trügerische Hoffnung. Als ich unter den herabstürzenden Strom trat, war das Wasser nicht die ersehnte Erfrischung. Es war warm, als wäre auch der Fluss ein Opfer dieser tropischen Glut. Gerade als ich mich damit abfand, begann die Luft zu knistern. Der erste Donner rollte wie eine Kriegstrommel durch das Tal, die Spannung entlud sich in einem spektakulären Gewitter. Der Regen, ein plötzlicher und alles durchdringender Guss, war wie eine Erlösung.

Am Nachmittag suchten wir Schutz im Schatten der Bäume und bereiteten uns auf die kommende Nacht vor. Unsere Mahlzeiten waren schlicht, doch funktional: morgens Haferflocken mit Rosinen und einem Schuss Honig, mittags eine Handvoll Nüsse und frisches Obst, abends ein Topf dampfender Bulgur mit Bohnen oder einer improvisierten gefischten Einlage. Alles war darauf ausgelegt, unsere Energie zu bewahren – wir hatten ein Ziel vor Augen, und heute Nacht sollte es endlich so weit sein.

Die Emerald Tree Boa, jene schillernde Ikone des Dschungels, war unser Fokus. Ihre smaragdgrüne Haut, die mit schneeweißen Schuppenmustern verziert war, machte sie zu einer Meisterin der Tarnung. Diese Baumschlange, die in den Regenwäldern Südamerikas heimisch war, verbrachte ihre Tage zusammengerollt auf Ästen, wo sie fast unsichtbar mit dem Blattwerk verschmolz. Mit einer Länge von bis zu zwei Metern und einem Körperbau, der für das Greifen von Ästen optimiert war, war sie ein Paradebeispiel der Evolution. Doch nachts wurde sie aktiv, ihre katzenartigen Augen erwachten zum Leben, und sie nutzte ihre hitzesensitiven Gruben, um Beute selbst in der Dunkelheit aufzuspüren.

Als die Dämmerung in die Nacht überging, packten wir unsere Stirnlampen, Kameras und das Wissen, dass Geduld unser größter Verbündeter sein würde. Der Dschungel verwandelte sich in eine andere Welt – eine Sinfonie aus unbekannten Lauten und glühenden Augen, die aus dem Schatten blitzten. Und so zogen wir los, entschlossen, der Emerald Tree Boa von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Es war nicht nur eine Suche nach einem Tier, sondern eine Reise in die Tiefe dieses faszinierenden und unbändigen Ortes.

Der Trommelschalg meines Herzens.

Es waren Stunden vergangen, und der Schmerz in unseren Nacken war zum stummen Begleiter geworden, während wir unermüdlich die Baumkronen nach dem geheimnisvollen Jäger absuchten. Die Stirnlampen tauchten die düstere Szenerie in kaltes, flackerndes Licht; jeder Schatten ließ uns zusammenzucken. Dann endlich – ein Moment des Triumphs. Mein Blick erfasste ein Muster, das mein Gehirn wie ein Puzzle zusammengesetzt hatte: smaragdgrünes Schimmern, durchbrochen von weißen Flecken. Dort oben, etwa zehn Meter über uns, thronte sie – die Emerald Tree Boa. Im Licht der Stirnlampe wirkte sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt, mystisch und gefährlich zugleich.

Die Emerald Tree Boa, eine der faszinierendsten Schlangenarten des tropischen Regenwaldes, ist bekannt für ihre auffällige Färbung und ihre ausgezeichnete Tarnung. Ihre smaragdgrünen Schuppen, durchzogen von weißen oder gelben Flecken, ermöglichen es ihr, nahezu unsichtbar in den Ästen der Bäume zu verweilen. Diese Schlange erreicht eine Länge von bis zu zwei Metern und verbringt den Großteil ihres Lebens in den Bäumen, wo sie sich geschickt um Äste windet. Die Boa verharrte reglos, lauernd auf Beute. Mit der Machete hackten wir einen langen Ast ab – eine theoretisch einfache, praktisch jedoch anspruchsvolle Aufgabe. Unsere ersten Versuche, sie auf den neuen Ast zu locken, waren kläglich. Doch dann, langsam und bedächtig, begann sie, sich um den Ast zu winden. Jede ihrer Bewegungen wirkte wie in Zeitlupe. Mit angespannten Nerven warteten wir, dass ihr Schwanz den ursprünglichen Ast freigab. Endlich war sie vollständig auf unserem improvisierten Werkzeug. Behutsam senkten wir es ab, darauf bedacht, sie nicht zu beunruhigen. Am Boden angekommen, platzierten wir sie auf einem anderen Baum, um sie zu beobachten und zu fotografieren. Ihr schimmernd grünes Schuppenkleid reflektierte das Licht, sie verharrte in einer perfekten Pose – eine Naturgewalt in Ruhe.

Beim Vorbereiten der Kamera pochte mein Herz wie ein Trommelschlag. Ein Blitz hätte eine Aufnahme zerstört, also nutzte ich Stativ, Weitwinkelobjektiv und Diffusor für sanftes Licht. Langsam näherte ich mich bis auf 30 Zentimeter. Euphorie und Angst rangen in mir – die Möglichkeit, dass sie blitzschnell zuschnappen könnte, schärfte meine Sinne. Doch in diesem Moment zählte nur eines: die Einzigartigkeit der Begegnung in all ihrer rohen, überwältigenden Schönheit einzufangen.

Die Unendlichkeit der Natur.

Die Tage im dichten, lebendigen Grün des Dschungels verstrichen wie ein einziger, unendlicher Atemzug – jeder Moment schien sich in die Ewigkeit zu dehnen, als wäre die Zeit selbst im Netz der Bäume gefangen. Doch irgendwann, trotz all der Magie, wurde es für uns Zeit, weiterzuziehen. Unser Ziel war der Fredberg – ein 380 Meter hoher, majestätischer Hügel, der wie ein königlicher Beobachter über den Baumwipfeln des Regenwaldes thronte. Die Gipfelplattform, eine schmale Felsformation, bot eine Aussicht, die nicht nur atemberaubend, sondern tief bewegend war – weit reichte der Blick über die endlose Wildnis des immergrünen Amazonas-Regenwaldes. Hier oben, umgeben vom tosenden Schweigen des Grüns, spürte man die gewaltige Schönheit und zugleich die erdrückende Unendlichkeit der Natur.

Das Fredberg-Gebiet war ein Kaleidoskop des Lebens. Es war die Heimat des Guayana-Schwarzspinnenaffen, der mit akrobatischer Eleganz durch die Baumkronen schwang – ein Meister der Luftakrobatik, dessen Rufe wie melodische Echos durch das Blätterdach hallten. Der Guayana-Felsenhahn, mit seinem leuchtend orangefarbenen Gefieder, erschien wie ein lebendiges Feuer, das zwischen dem dichten Grün aufleuchtete. Doch Vorsicht: Die Buschmeisterschlange, eine der größten und giftigsten Schlangen des amerikanischen Kontinents, lauerte hier ebenfalls – lautlos und unsichtbar im Dickicht verborgen. Neben diesen ikonischen Arten war die Gegend von einer unendlichen Vielfalt anderer Tiere bevölkert: farbenfrohe Frösche, die wie kleine Edelsteine glänzten, schrille Papageien, deren Rufe den Dschungel durchschneiden, und scheue Jaguare, die wie Geister durch das Unterholz schlichen. Der Dschungel lebte, atmete und brummte – ein Chor der Wildnis, in dem jedes Wesen seinen eigenen Klang beisteuerte.

Der akustische Teppich des Fredberg-Dschungels war unvergleichlich: Von den tiefen, resonanten Brülllauten der Brüllaffen bis hin zum sanften, rhythmischen Plätschern entfernter Bäche – jeder Laut erzählte eine Geschichte. In der Nacht erwachte ein neues Orchester: zirpende Grillen, der monotone Ruf von Eulen und das gelegentliche Knacken eines Astes unter den Schritten eines unsichtbaren Besuchers. Diese symphonischen Klänge waren nicht nur Hörgenuss, sondern auch Warnsignale und Orientierungspunkte in einer Welt, in der jeder Ton Bedeutung hatte.

Doch bevor wir den Fredberg erreichten, wartete eine weitere Herausforderung: die Fahrt von Brownsberg hinunter zur Hauptstraße. „Fahrt“ war dabei fast schon eine Untertreibung, denn was uns erwartet hatte, war ein erbitterter Kampf mit den Elementen. Der Off-Road-Wagen, ein wahres Arbeitstier, rutschte und schlingerte durch tiefe Schlammfurchen, während wir uns mit Macheten den Weg durch herabhängende Äste bahnten. Jeder Meter der Strecke forderte unsere ganze Konzentration, denn die Neigung des Fahrzeugs geriet immer wieder in gefährliche Bereiche, und es schien oft, als würden wir jeden Moment umkippen. Diese Reise war eine Prüfung unserer Nerven und unseres Mutes – und genau das machte sie unvergesslich.

Instinktiv.

Fredberg, benannt nach einem der ersten Forscher, die diese Region kartiert hatten, war nicht nur ein Ort der Wildnis, sondern auch ein Ort der Entdeckung. Von hier aus ließen sich die Geheimnisse des surinamischen Regenwaldes erkunden – ein Gebiet, das sowohl Naturliebhaber als auch Abenteurer in seinen Bann zog. Wer sich auf dieses Abenteuer einließ, erlebte nicht nur die Natur neu, sondern lernte sich selbst ein Stück weit besser kennen. Der Dschungel von Fredberg forderte den ganzen Menschen. Jede Bewegung, jeder Schritt verlangte höchste Aufmerksamkeit und eine tiefe Verbundenheit mit der Umgebung. Was du berührst und wohin du trittst, musste mit Bedacht geschehen. Im undurchdringlichen Dickicht des Regenwaldes konnten ein Knacken im Unterholz oder ein plötzlicher Schatten genügen, um das Adrenalin durch deinen Körper zu jagen. Instinktiv wurden wir in dieser ungezähmten Natur zu Geschöpfen des Augenblicks – zwischen Angriff und Flucht, verharrender Wachsamkeit oder explosionsartigem Vorstoß. In diesem Reich der Natur entdeckte man nicht nur die wilde Welt, sondern auch die ungezähmten Tiefen der eigenen Seele.

Der Dschungel hatte seinen eigenen Takt, einen Atem, den nur die Geduldigen und Mutigen verstanden. Es war wieder einer dieser Tage, an denen wir uns mit Macheten den Weg durch das grüne Labyrinth bahnten. Unser Ziel war ein geeigneter Platz nahe dem Fluss, um die Hängematten aufzuspannen. Die schützende Plane gegen die unbarmherzigen Regenfälle des Monsuns ließen wir heute bewusst weg. Der Blick auf die majestätischen, bogenförmigen Windungen des Flusses war ein Spektakel, das wir nicht missen wollten. Das Moskitonetz jedoch blieb unverzichtbar – eine letzte Bastion gegen die unermüdlichen Plagegeister des Dschungels. Die Nacht brachte keine wirkliche Abkühlung, und irgendwann fiel ich aus reiner Erschöpfung in einen unruhigen Schlaf. Doch die Geräuschkulisse der Wildnis – ein Konzert aus Knacken, Rascheln und fremdartigen Schreien – hielt mich stets an der Schwelle des Erwachens. Jeder Laut schien eine mögliche Gefahr zu signalisieren, nicht so das ohrenbetäubende Grölen der Brüllaffen, das beruhigte mich.

Am Morgen machten wir Feuer, und das Knistern des Holzes sowie der Duft des aufsteigenden Rauchs versprachen Routine und eine flüchtige Sicherheit. Doch heute war kein gewöhnlicher Tag. Die kommenden zwei Tage sollten uns auf eine Expedition durch das brusttiefe Wasser des Flusses führen, auf der Suche nach einer Anakonda. Nicht irgendeiner, sondern der Anakonda – der größten Schlange der Welt. Der Gedanke, in das trübe, kakaofarbene Wasser einzutauchen, ließ einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen. Doch genau dafür war ich hier. Suriname hatte mich gerufen, mit all seinen Gefahren und Geheimnissen. Eine Anakonda in freier Wildbahn zu sehen – das war mein Traum, mein Ziel.

Die bedrohte Wildnis.

Unsere Ausrüstung war minimal. Sandalen, eine kurze Hose, ein langärmliges Hemd und als Schutz gegen die Sonne eine Kappe – dazu kam noch meine Kamera, sorgfältig verstaut in einem wasserdichten Beutel. Mehr brauchte ich nicht. Zum Frühstück gab es wie immer Haferflocken mit Honig, Nüssen und Rosinen. Einfach, nahrhaft, effizient – so funktionierte unser Leben hier.

Als ich meine ersten Schritte ins Wasser setzte, schien der Fluss selbst gegen mich zu flüstern. Die kaffeebraune Oberfläche verbarg alles, was sich darunter verbarg – Aas, Äste oder die unheilvollen Schatten einer Schlange. Jeder unsichtbare Kontakt, sei es ein schlammiger Ast oder ein verrottetes Blatt, ließ mein Herz für einen Moment stocken. Der Boden unter meinen Füßen war weich und zäh, eine Mischung aus Schlamm und zerfallendem Laub, das mich festzuhalten schien. Mit jedem Schritt ins Wasser wuchs die Anspannung, aber auch die Faszination. Der Dschungel war mehr als nur eine Kulisse – er war ein lebendiger Organismus, ein Puls, der mich in seinen Bann zog. Die Suche nach der Anakonda war keine bloße Jagd. Es war ein Abenteuer, eine Begegnung mit einer uralten Kraft, die mich tief in die Wildnis und in meine eigenen Grenzen führte.

Wir hatten mehrere Stunden im Fluss verbracht, aber nur wenige Kilometer zurückgelegt, da die Unwegsamkeit ein gleiches Maß an Zeit in Anspruch nahm wie unsere Vorsicht. Die ins Wasser gestürzten Bäume machten, wie das Durchqueren des Flusses, die Erkundung zu einem langsamen und mühevollen Unternehmen. Zudem kam noch, dass wir beständig nach den Mustern und Farben Ausschau hielten, die unmittelbare Umgebung nach jenen Merkmalen scannen, die wir uns eingeprägt hatten, um bestimmte Tierarten zu „spotten“. Suriname ist ein einzigartiges Ökosystem, und die Biodiversität ist so vielfältig, dass ich genau über diese Themen, wie auch über die Bedrohung der Artenvielfalt, im nächsten Kapitel unserer Abenteuerreise berichten möchte. Anbei schon mal die ersten Gedanken und Fakten dazu.

Die Biodiversität in Suriname war mit verschiedenen Bedrohungen konfrontiert. Zu den Hauptbedrohungen zählten der Verlust von Lebensräumen durch Bergbauaktivitäten, insbesondere Goldabbau, und die nicht nachhaltige Nutzung von Mangrovenwäldern. Invasive Arten sowie illegale Jagd und Fischerei trugen ebenfalls zum Rückgang der Artenpopulationen bei. Suriname war die Heimat gefährdeter Arten wie des Riesenzackenbarsches und von Tapiren. Die Zerstörung von Lebensräumen und die Störung von Ökosystemen hatten erhebliche Auswirkungen auf das Überleben von Flora und Fauna in Suriname.

Gigantische Maschinen.

Stell dir ein Land vor, das wie ein grünes Juwel an der Nordostküste Südamerikas funkelte. Suriname, eingebettet in das unermessliche Amazonas-Biom, war dieses Land ein wahres Paradies für Naturliebhaber und Entdecker. Mit atemberaubenden 93 % Waldfläche gehörte Suriname zu den grünsten Ländern der Erde – ein Hort unberührter Wildnis, der die Fantasie beflügelte. Noch beeindruckender war die riesige Wirtschaftszone des Landes, die sich ganze 300 Seemeilen in die Weiten des Atlantiks erstreckte.

Suriname war ein Land voller Kontraste, das verschiedene Ökosysteme beherbergte. Tief im Landesinneren flossen reißende Flüsse und verborgene Stromschnellen durch Süßwassersümpfe und ungezähmte Regenwälder. Die weiten Sandsavannen, durchsetzt mit bizarren Felsformationen, schienen direkt aus einem Abenteuerroman entsprungen zu sein, während die geheimnisvollen Inselberge wie Wachtürme aus dem Dschungel ragten. Diese spektakuläre Vielfalt war nicht nur ein Schatz der Natur, sondern auch ein Zeugnis von Surinames langjährigem Engagement für ihren Schutz. Seit 1966 hatte das Land 16 Schutzgebiete geschaffen. Diese geschützten Oasen, die zusammen unglaubliche 2,1 Millionen Hektar oder 13,5 % der Landesfläche ausmachten, standen jedoch vor einer dramatischen Bedrohung. Die Ausweitung der Bergbauaktivitäten, vor allem des Goldabbaus, glich einer schleichenden Wunde, die das fragile Gleichgewicht der Ökosysteme bedrohte. Gigantische Maschinen gruben sich in die Erde, rissen Lebensräume auseinander und hinterließen karge, lebensfeindliche Landschaften. Wo die Goldgräber einfielen, lösten sie Katastrophen für Mensch und Natur aus: Sie fällten Bäume, wühlten Flüsse auf, brachten Schnaps und Waffen mit, trugen Gewalt und Krankheiten in den Regenwald. Das Quecksilber, das beim Goldwaschen genutzt wurde, vergiftete das Hauptnahrungsmittel der traditionellen Völker – den Fisch.

Zwischen Tapieren und Anakondas.

Die indigenen Gemeinschaften Surinames waren wahre Hüter eines Wissens, das älter war als jede moderne Wissenschaft. Ihre Verbindung zur Natur war nicht bloß pragmatisch – sie war spirituell, beinahe symbiotisch. Sie verstanden die pulsierenden Rhythmen des Dschungels, die feinen Nuancen zwischen Leben und Tod und die delikate Balance, die den Regenwald am Leben hielt. Ihre Kenntnis über Heilpflanzen war wie eine gelebte Enzyklopädie, ihre nachhaltigen Jagdtechniken ein Tanz zwischen Entnahme und Erhalt. In ihrem Wissen steckte die Essenz des Überlebens – nicht nur ihres eigenen, sondern auch der ungezählten Tierarten, die ohne sie längst verschwunden wären.

Doch inmitten dieser Harmonie gab es Brüche, Risse, die ich selbst mit schmerzlicher Deutlichkeit sah. Der Tapir, oft ehrfürchtig als „sanfter Riese“ bezeichnet, war eines der Opfer dieser Brüche. Suriname war das einzige Land in Südamerika, das die Jagd auf Tapire zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Regionen erlaubte. Doch was auf den ersten Blick wie ein kontrolliertes Gleichgewicht erschien, wurde schnell zu einer Gefahr: Die Regeln wurden missachtet, die Jagdzeiten ignoriert. Illegale Jagd war weit verbreitet, und die Population dieser majestätischen Wesen schrumpfte. Es war ein Anblick, der mich zutiefst erschütterte, als ich erstmals einem erlegten Tapir gegenüberstand. Der Verlust war nicht nur physisch, sondern auch ein Verlust an Würde – für den Dschungel und seine Hüter.

Doch der Ruf des Regenwaldes war stark, seine Mysterien lockten, und so trieb mich mein Forschergeist weiter. Mein Ziel war ein anderes, eine Kreatur, die mich seit meiner Kindheit in ihren Bann zog – die Anakonda. In der Vorstellung vieler Menschen war sie ein Monster, ein Schrecken aus Alpträumen. Für mich aber war sie ein Symbol des Lebens selbst: gewaltig, mysteriös, undurchschaubar. Die Suche nach ihr begann mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Angst. Der Fluss, mein treuer Begleiter, war zugleich mein Wegweiser und mein Herausforderer. Das Wasser war dunkel, beinahe schwarz, und jeder Tritt ins Ufergestrüpp schien die Möglichkeit zu bergen, dass ich ihr zu nahe kommen könnte – oder nicht nah genug. Diese Jagd war keine Jagd mit Waffen, sondern eine Suche mit offenen Augen und einem Herzen, das sowohl den Triumph als auch die Demut des Entdeckens spüren wollte.

Die Geschichten, die ich hier teilte, waren weniger eine Reisebeschreibung als ein Blick in den Puls des Dschungels selbst. Jeder Schritt, jede Begegnung – sei es mit einem Tapir oder einer Anakonda – erzählte etwas über die unbändige Kraft und die Verletzlichkeit dieses Ökosystems. Und auch über mich.

Ahnungslos.

Matthew und ich brachen in völliger Dunkelheit auf, ausgestattet wie immer: Gummistiefel, Macheten, Stirnlampen mit Ersatzakkus – und in meinem Fall zusätzlich Kamera, Weitwinkelobjektiv, Stativ und ein Diffusor, um das Licht für meine Aufnahmen zu streuen. Der nächtliche Sumpf war längst zu unserem gewohnten Terrain geworden. Brusttief stand ich im trüben Wasser und redete mir ein, die Gefahren wären nicht so allgegenwärtig, wie meine innere Stimme behauptete. Doch ich wusste es besser. Hier, in den Tiefen des Regenwaldes, lauerte die Wildnis mit all ihrer unberechenbaren Gewalt – ein leises Plätschern konnte ein herannahender Kaiman sein, ein unscheinbarer Schatten die glatte Bewegung eines Stachelrochens.

Diese Nacht jedoch versprach noch intensiver zu werden, ohne dass ich es ahnte. Es war unsere letzte Chance, seine Anakonda zu sichten, und wir wollten nichts dem Zufall überlassen. Um unsere Erfolgschancen zu maximieren, beschlossen Matthew und ich, uns zu trennen. Er ging stromaufwärts auf einer Seite des Flusses, während ich mich auf der anderen Seite durch das Dickicht kämpfte – eine Entfernung von etwa 40 Metern, die sich in der Finsternis wie ein Ozean anfühlte. Schon nach wenigen Minuten war der Strahl seiner Stirnlampe verschwunden. Der Sumpf verschluckte jedes Licht und jedes Geräusch. Ich war allein. Mein Atem ging flach, und jeder Schritt war ein Tanz zwischen Mut und Vorsicht. Das Wasser um mich herum war schwer und trüb, als ob es meine Gedanken spüren konnte.

Die Stunden vergingen zäh. Ich suchte angestrengt nach den Merkmalen, die eine Anakonda verraten konnten: ihre braun-olivgrüne Grundfärbung, die schwarzen Flecken auf ihrem Rücken, die wie kunstvolle Malereien wirkten, oder die leuchtend gelben Augenflecken an ihrer Seite. In den Augenwinkeln meinte ich immer wieder Bewegungen zu sehen, doch es waren nur die Reflexionen des Lichts auf dem Wasser. Meine Stirnlampe schnitt durch die Dunkelheit, und ich war völlig fixiert darauf, das charakteristische Schuppenmuster zu erkennen. Die Angst wich nicht, aber sie wurde zu einem Begleiter, einem Flüstern, das mich aufmerksam hielt. Ich wusste um die Gefahren, die mir hier begegnen konnten. Die giftigen Stachelrochen lauerten im Flussbett, andere Schlangenarten zogen sich leise durchs Wasser, und die Kaimane – diese lautlosen Jäger aus der Unterfamilie der Alligatoren – hätten mich mühelos in die Tiefe reißen können. Doch meine Gedanken ließen keinen Platz für diese Bedrohungen.

Ein Moment für die Ewigkeit.

Das Bild, das sich mir bot, hatte ich tausendmal in meinem Kopf durchgespielt – und doch war die Wirklichkeit intensiver, lebendiger, beinahe unwirklich. Da lag sie, die Anakonda, im fahlen Licht meiner Stirnlampe. Ihre Muster und Merkmale, die ich so akribisch studiert hatte, waren mir sofort vertraut: die olivgrüne Haut, die schwarzen Flecken wie eine Landkarte und die gelben Augenflecken, die ihr ein geheimnisvolles Aussehen verliehen. Seltsam ruhig blieb ich in diesem Moment, nicht erschrocken, nicht überrascht. Es war, als hätte ich mich auf diese Begegnung vorbereitet, als wäre sie der unvermeidliche Höhepunkt einer Reise, die ich schon so oft in Gedanken durchlebt hatte.

Sie lag in einem kleinen felsigen Tümpel, den der Fluss speiste. Ein Jungtier, schätzte ich, nicht mehr als 160 Zentimeter lang. Zunächst waren es nur ihre Augen und Nasenlöcher, die knapp über der Wasseroberfläche schwebten, ein leises, fast unmerkliches Signal ihrer Anwesenheit. Doch das Licht meiner Stirnlampe enthüllte nach und nach ihren ganzen Körper, eine lebende Skulptur aus Kraft und Eleganz. Die Freude des Entdeckers durchflutete mich – diese Mischung aus Ehrfurcht und triumphalem Staunen, die jede Anstrengung der letzten Tage plötzlich lohnenswert machte. Die Minuten vergingen wie in Zeitlupe, bevor ich Matthew über Funk verständigte. Als er schließlich den Fluss durchquerte, konnte ich sein breites Grinsen selbst im schwachen Licht erkennen. Matthew war seit seiner Kindheit von Schlangen fasziniert, und seine Leidenschaft hatte ihn schließlich dazu gebracht, Zoologe zu werden.

Während Matthew begann, seine Expertise über diese faszinierende Art mit mir zu teilen, wagte ich mich langsam näher. Das Wasser war klar, nur durch abgestorbene Blätter leicht getrübt, und die Anakonda lag ruhig da, in kräftigen Schlingen gewunden wie ein kunstvoll arrangiertes Seil. Der Moment brannte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. Anakondas, erklärte Matthew, sind Würgeschlangen, keine Giftschlangen. Ihre tödliche Umarmung ist ein Meisterwerk evolutionärer Anpassung. Wenn sie zupackt, brachte sie die Atmung und den Blutkreislauf ihrer Beute zum Erliegen, denn bei jedem Ausatmen ihres Opfers zog sie ihre Umklammerung enger, bis das Leben erlosch. Diese Details waren mir bekannt, doch jetzt, wo ich einer Anakonda gegenüberstand, spürte ich die rohe Kraft dieser Realität mit jeder Faser meines Körpers.

Ich hatte mich in den letzten Tagen an kleineren Schlangen geübt, sie zu fangen, um mich auf diesen Moment vorzubereiten. Meine Hand zitterte leicht, als ich mich auf den entscheidenden Augenblick konzentrierte. Noch nie war ich einem so reinen Ausdruck von Naturgewalt so nahegekommen. Langsam, behutsam näherte ich mich. Mein Herz raste, und doch fühlte ich mich merkwürdig klar, fokussiert.

Zwischen den Welten.
 
Wie oft im Leben waren es die Momente zwischen zwei Welten, die uns am meisten prägten. Diese Zwischenräume – zwischen Alltagszwängen und ungebändigter Freiheit, zwischen Vertrautem und Unbekanntem – formten den Kern des Abenteuers, das wir Leben nennen. Der Regenwald Surinames, mit seinen unendlichen Grüntönen und unerforschten Pfaden, wurde für mich zur Metapher für genau diesen Zustand: ein Ort voller Gefahren, Herausforderungen und Schönheit, der mich zwang, mich meiner eigenen Unvollkommenheit zu stellen.

Jeder Schlag des Paddels auf den gewundenen Flüssen fühlte sich an wie ein Aufruf zur Rückkehr zu etwas Ursprünglichem, das in unserer hektischen, technologiegetriebenen Welt allzu leicht verloren geht. Die Tage wurden zu einer Abfolge aus glühender Hitze, beständiger Aufmerksamkeit wie korrekter Navigation. Und doch, inmitten dieser Widrigkeiten, gab es Momente, die jede Anstrengung rechtfertigten: das Aufleuchten der Augen eines Jaguars im fahlen Licht meiner Stirnlampe, das rhythmische Trommeln eines tropischen Regenschauers auf meiner Hängematte, die unerschütterliche Stille des Dschungels, die eine ganze Welt in sich barg.

Suriname zeigte mir, dass wahre Abenteuer nicht in der Abgrenzung von Gefahren bestanden, sondern in der Bereitschaft, sich ihnen zu stellen. Jene Geschichten der Maroons und Indigenen, die mich auf meiner Reise begleiteten, wurden zu einer zweiten Stimme in meinem Kopf – sie flüsterten von Respekt, von Verbundenheit mit der Natur, von der Demut, die es brauchte, um als Fremder in einem uralten System zu bestehen.

Nun, da ich zurück bin, bleibt eine Wahrheit: Die Reise endet nie wirklich. Sie lebt mit den Emotionen, die der Regenwald auf meiner Seele hinterließ, und in dem unstillbaren Verlangen, weiterzusuchen – nach Geschichten, nach Erkenntnissen, nach mir selbst. Dies war nicht das Ende, sondern ein Anfang, der nächste Schritt auf einem Weg, der genauso unvorhersehbar war wie das Wasser, das ich durchquert hatte. Es bleibt ein Ruf, den ich nicht ignorieren kann – und vielleicht auch nicht will.

Video: Lass das Abenteuer beginnen.

Surinam hat mir gezeigt, dass wahres Abenteuer nicht in der Vermeidung von Gefahren liegt, sondern in der Bereitschaft, sich ihr zu stellen.
 

Die Geschichten der Maroons und indigenen Völker, die mich auf meiner Reise begleiteten, wurden zu einer zweiten Stimme in meinem Kopf – sie flüsterten von Respekt, von Verbundenheit mit der Natur, von der Demut, die man braucht, um als Fremder in einem alten System zu überleben. Inmitten dieser Widrigkeiten gab es Momente, die jede Anstrengung rechtfertigten: das Leuchten der Augen eines Jaguars im fahlen Licht meiner Stirnlampe, das rhythmische Trommeln eines tropischen Regengusses auf meiner Hängematte, die unerschütterliche Stille des Dschungels, der eine ganze Welt in sich birgt. Eine Reise endet nie wirklich und Suriname hat Spuren in meiner Seele hinterlassen. Bereit für den nächsten Schritt? Die Geschichte beginnt hier.

Bestelle hier dein Buch: Grünes Gold. Suriname / Band I